Perfektionismus Wenn das Soll zum Muss wird by Raphael M. Bonelli
Autor:Raphael M. Bonelli [Bonelli, Raphael M.]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783629320759
Herausgeber: Knaur e-books
veröffentlicht: 2014-08-04T16:00:00+00:00
Aufgrund ihres Perfektionismus und der Ökonomisierung ihres Lebens ist die Schwangerschaft für Susanne Z. ein Schock. Wer nichts verdient, leistet nichts; wer nichts leistet, ist nichts wert: »Ich wollte ein vollwertiger Mensch für die Gesellschaft sein …« Dann die dramatische Selbsterkenntnis: »Ich habe mein Kind dem Job geopfert.« Dann kommt wieder ein Leistungsgedanke auf, diesmal von der anderen Seite: »Jeder Bauarbeiter ist in der Lage, ein Kind zu kriegen – ich nicht.« In der Trauerarbeit vergleicht sie sich mit ihrer Mutter und spürt den Schmerz, dass sie genauso rücksichtslos gewesen sei wie ihre Mutter, die sie ja dafür verachtet.
Frau Z. ist ein Kind unserer Zeit: Wir befinden uns in einer Gesellschaft, für die Leistung sogar wichtiger ist als das Leben. Oder ein Leben nur dann sinnvoll und erfüllend sein kann – »lebenswert« –, wenn es zu permanenten Leistungen fähig ist. Ein Kind mit Down-Syndrom, sei es subjektiv auch noch so glücklich, wird heute generell bemitleidet, weil es leistungsmäßig immer unterdurchschnittlich sein wird. Das »Mitleid« geht so weit, dass nach der EUROCAT-Studie etwa 90 Prozent dieser Kinder abgetrieben werden. Andere Studien sprechen sogar von 95 Prozent. Eine tödliche Folge des Leistungsdenkens: Wenn mein eigenes Kind nie brillant sein kann, dann will ich es gar nicht. Da spielt sicherlich oft auch Selbstmitleid, die Angst vor einem Klotz am Bein und um die eigene Karriere mit. Das ist definitiv ein sozialer Irrtum: Erst die Rücksicht auf die Schwachen macht eine Gesellschaft menschlich. Am Wehrlosen erweist sich die Menschlichkeit.
Susanne Z. erinnert sich daran, sich gewünscht zu haben, dass ihr Lebensgefährte für das Kind kämpft. Sie wirft ihm nachher auch vor, dass er eine Familie verhindert habe – ihre größte Sehnsucht: »Zu Hause sein: Das wäre Geborgenheit gewesen. Das sehe ich erst jetzt: Genau das habe ich in der Firma gesucht. Die Firma ist der Ersatz für meine Familie.« Viele Burn-out-Patienten kommen zu dem Punkt, an dem sie erkennen, dass der Arbeitsplatz Familienersatz war – ein ineffizienter.
Frau Z. sehnt sich schon immer nach Geborgenheit und Familie. Sie erhofft das ersatzweise von der Firma und übersieht die große Chance, selbst eine Familie zu gründen. In einer Kurzschlussreaktion beendet sie die Realfamilie, weil die ihre Ersatzfamilie gefährdet. Das ging nur so lange gut, bis sich die Ersatzfamilie in der Kündigung als Nichtfamilie entpuppte. Ulrich Renz bezeichnet es als eine verlogene Floskel, wenn die Mitarbeiter zunehmend als »große Familie« bezeichnet werden: »Dabei ist in einem Unternehmen das Gegenteil der Fall. Ein Familienmitglied gehört dazu, egal unter welchen Umständen. In einer Firma ist man nur zugehörig, solange man ihr von Nutzen ist.«
Der »Übermensch« hat bei Nietzsche, dem Verachter des Gewöhnlichen und Durchschnittlichen, einen Überschuss an Willen zur Macht. Das befähigt ihn zur Selbstentfaltung. Moralische Fragen werden da sekundär, Rücksichtnahme gilt als ein Zeichen von Schwäche. Der Zweck heiligt die Mittel. Frei nach der Darwinschen Selektion predigte Nietzsche in der Tat ein »survival of the fittest«: Die Schwächeren werden vom Übermenschen aus dem Weg geräumt. Susanne Z. hatte dieses Credo des Sozialdarwinismus verinnerlicht.
Die Übermenschen-Phantasien Friedrich Nietzsches gingen so weit, dass
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